Denglish for Follower: Lesung


Den folgenden Text habe ich in 2009 auf einer Vernissage in Nürnberg vorgetragen (#immfv1 von @frauenfuss, Galerie Armer Teufel, 7.11.). Gefragt waren: Entertainment, Tempo, nichts Literarisches. 1-2 Seiten, Lesezeit maximal zehn Minuten. Im Publikum: kunstinteressierte Twitterer, darunter viele meiner Follower. Neben der eigentlichen Hauptperson des Abends, Michaela von Aichberger.


Morgens, halbzehn in Deutschland.
Nee, in der Pause wird kein Knoppers ausgepackt. Nix Milch-Haselnuss-Schnitte. Kein Frühstückchen auf deutschen Schulhöfen. Der Werbespot hat unrecht. Auch wenn er heute Claim heißt. Die Kids von heute sind anders. Completely! Als erstes wird zum Handy gegriffen: Neue Mails checken, doodeln, Szene-Tipps downloaden, ins SchülerVZ einloggen. Mit web’n’walk der T-Com kein Problem. Peter Zwegat wird’s schon richten, Jahre später. – Der Unterstufenschüler, Typ Upstyler, schlurft in den Backshop und holt sich ein Sandwich. Die Mittelstufen-Lady, ganz Smoky Eyes, steht auf Country-Kartoffeln. Voll phat! Und der Oberstufen-Crack kauft sich einen Spinach-n-Cheese-Wrap. Wie abgespact. Auf der chilligen Parkbank, das Netbook auf den Knien, den Coffee-to-go daneben, wird schnell ein Thread gelesen, kurz was gepostet, ein Blog überflogen, der MySpace erweitert, gefacebookt, und mit dem Blind Date in spe gechattet. Wichtige To-dos. Die selbst verordnete Freistunde wird zur Happy Hour.


Mittags, halbeins in Deutschland. Die English Lesson soll beginnen. Der Teacher, fast schon ein Gruftie und kurz vor dem Burn-out, wundert sich schon lang nicht mehr. Wo einst unauffällig und langsam Zettel verschoben wurden, blickt er heute auf rasend schnell simsende Daumen. Wo brave Schüler in grauen Vorzeiten begeistert von ihren Yps-Urzeitkrebsen erzählten, führt Mandy 2009 per MMS die Assi-Sticker der eigenen Mutter vor. Bashing at it’s best. LOL. Besondere Events (Gefühle, Konflikte) dem Tagebuch, einem Moleskine gar, anvertrauen? Schreibenderweise? Ach woher. Verbale und körperliche Auseinandersetzungen gehen online. Mandys Nebenchecker Tom hält mit dem Handy drauf, zoomt und filmt, uploadet die Szene, und alle sind nachher geflasht vom neuen Video auf YouTube. Trotzdem, unser Lehrer ist Idealist und müht sich redlich, seinen Schülern Englisch-Vokabeln beizubringen. Dazu verteilt er sogar Songtexte und wirft den CD-Player an. Vergeblich. Mit James Blunt gewinnt er keinen Blumentopf bei den Teenies. Schon gar nicht bei Mandys und Toms. Nicht Peergroup-kompatibel.

Mittags, halbzwei in Deutschland. Schulschluss. Mandy spricht. Ohne zu stocken, in schnellen Sätzen, ohne größere Bugs zu ihrem Freund: „Hör mal, Tom, du Nullchecker, ich hab keinen Turn aufs Cruisen nachher. Gecancelt. Ich will ja nicht reinstressen, aber ich muss was googeln für die shit Bio-Hausarbeit. Hab null Peilung und werd die faken, wikipeden, copy and paste, you know. Mein Virenschutz ist auch noch nicht geupdatet. Dass jetzt mein Motherboard crasht, wär voll der worst Case. Ich will echt nicht abloosen, du musst allein die Sneakers shoppen gehen. Nimm meine Payback-Card und bring mir die Clutch mit. Also dann, Time-out.“

Nachmittags, halbvier in Deutschland. Eine Universität. Lehrstuhl für Sprachwissenschaften, Vorlesungsbeginn. Der Prof wirft die erste PowerPoint-Folie an die Wand. Weil er ohne nicht performen kann. Darauf Jil Sanders unglückseliger Satz aus den neunziger Jahren. Der Prof liest vor (was auch sonst): „Für meinen Erfolg war mein coordinated Concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer Collection miteinander combinen kann.“ Die Studenten grinsen. – Im folgenden geht es um Denglish, Germish oder Engleutsch. Auch mal wertneutral um Anglizismen und Amerikanismen (je nach Herkunft). Dann um BSE (Bad Simple English). Hybridformen (wie Backshop). False Friends. Falsche Freunde, wie Gift Shop, in dem es kein Gift, sondern Geschenke zu kaufen gibt. Um Slanglish. Um Koffer- und Kunstwörter. Um Scheinanglizismen. Wie etwa das Handy. Schließlich sagt der Brite „mobile“ und der Ami kurz „cell“. Tatsache ist, die Dinger sind handlich und praktisch, „handy“ eben. Auf Plattdeutsch heißen sie übrigens Ackerschnacker. - Was bleibt hängen, bei den Studis? Wenn sie eines Tages ein Stellengesuch aufgeben, sollen sie konkret werden. Also nicht: „Dipl.-Whatever, up-to-date, sucht neue Challenge. Countdown läuft. Offer an Chiffre xy“. Sondern ruhig „Chickenshit Adviser“ oder „Facts Fluxioner“; natürlich nur, wenn sie als ausgebildete „Technische Redakteure“ die Hühnerscheiße aus Bedienungsanleitungen entfernen, sprich die Fakten zum Fließen bringen können.

Nachmittags, halbfünf in Deutschland. Ein Senioren-Kaffeekränzchen. Man diskutiert über das leidige Denglish. Sammelt Beispiele. Um Leserbriefe schreiben zu können. An die Lokalzeitung. Bratwurst- und Postpoint, Feel-Good-Suppen, Cross-Over-Küche, Strom Smart, Flatrate, MrWash und das After-Work-Wine-Tasting? Weg damit! Die neue Kirchenzeitung der Innenstadtgemeinden heißt Citykirche. Unmöglich! Und der Schlussverkauf seit Jahren Sale, sale, sale! Unverschämt! In der Zeitung werden After Sales Manager gesucht, wie bitte? Ganz schlimm: Das Baby-Shooting neulich in Pforzheim. (Zur Erklärung: veranstaltet und beworben von einem harmlosen Fotogeschäft.) Weil man über die Deutsche Bahn eh gern schimpft, wettert man über das Rail & Fly-Ticket und die öffentliche Bedürfnisanstalt McClean, die man nicht mehr findet, seit sie so heißt, und die sowieso viel zu teuer ist. Da dem internetfeindlichen Greis nicht klar ist, was ein HotSpot ist und auf dem Bahnhof zu suchen hat, wird über den, na logisch, auch hergezogen. – Man bemüht den „Anglizismen-Index“ vom VDS (Verein deutsche Sprache e. V.). Denn der wartet mit Übersetzungsvorschlägen auf. Aktion lebendiges Deutsch. Statt Sandwich Klappstulle oder Doppelbrot. Statt Brunch „Spätstück“. Späth? Statt Hotline „Heißer Draht“ oder „Teledienst“. Statt Brainstorming „Denkrunde“ oder „Grübelplausch“. Statt Cursor „Blinker“. Statt Event „Hingeher“. – Wir sind heute also bei einem Hingeher ;-).

Abends, halbzehn in Deutschland. Es wird getwittert, was das Zeug hält. Updates, Replies, direct Messages, Retweets. Hashtags. TwitPics. Tweetranks. Twirds. Lists. Follower treffen sich im real Life. Bei @frauenfuss. Auf dass keiner entfollowt wird :-).